Freitag, 22.08.2014 — Harsova – Tulcea
Freitag, 22.08.2014 — Harsova – Tulcea
Tageskilometer: 105 km
Durchschnitt: 20,1 km/h
Fahrzeit: 5:12 h
Viel Sonne und extrem starker Wind (leider immer Gegenwind oder Seitenwind), 28°C
Boah, die Nacht in dem Kabuff war wirklich ein verdammt guter Grund FÜR wildes Campen. Ein Fenster mit Abmessungen 30×30 cm, eine Klimaanlage, die nicht funktionierte, vor der Türe (weil es ein Parterre-Zimmer war) zwei Köter die nur darauf warteten über mein Proviant herzufallen und im Zimmer zahlreiche Mücken, die mein Blut wollten. Dazu eine unerträgliche schwüle Hitze. Boah…, also wie gesagt: Vieles das fürs wilde Campen spricht.
Ich stehe um 6 Uhr auf und bin kurz nach 7 Uhr auf der Straße. Im Ort kaufe ich mir noch Frühstück, welches ich auch sogleich an Ort und Stelle verputze, um möglichst schnell weiter zu kommen. Die „221“ ein Stück weit, bis zu einem See, dann die „222F“ nach Norden. Weil ich in der Nacht viel Zeit hatte zum Nachdenken (und zwar nicht nur über das Thema „Wildes Campen“) halte ich an der Abzweigung zur „222F“ eine Zeit lang inne. Soll ich jetzt wirklich nach Norden fahren, nur um noch mehr rumänische Dörfer zu durchfahren, von denen ich nun wirklich schon zu Hauf gesehen habe? Mich erwarten im Norden sonst nur noch zwei Großstädte: „Braila“ und „Galati“, die ich aber sowieso auf keinen Fall besuchen möchte, sondern ohnehin umfahren werde. Bis hinter Galati (also den gesamten heutigen Tag) werde ich kilometerweit von der Donau entfernt sein. Wozu also einen ganzen Tag Reisezeit verwenden, wenn hier jetzt der Weg nach Tulcea abzweigt und es von hier ungefähr 90 Kilometer bis dort hin sind?
Die Entscheidung ist schnell getroffen. Es geht auf direktem Wege weiter nach Tulcea. Welchen Weg ich aber vor mir habe, dass habe ich zum Glück zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewusst, denn sonst wäre ich vermutlich freiwillig sogar noch ein paar Tage in dem Kabuff geblieben.
Die Strecke nach Tulcea war eine Schinderei beispiellose Schinderei. Nun ja. Zum Einen liegt es sicher daran, dass ich nach fast vier Wochen Radfahren nun endlich einmal eine etwas längere Pause brauche. Ich habe einfach nicht mehr so viel Lust zum Radfahren, wie zum Start der Tour. Vielleicht liegt es aber auch einfach nur an der besch… Nacht, die ich heute verbracht habe. Jedenfalls bin ich heute überhaupt nicht motiviert und meine Beine merken das leider sofort und stimmen in die allgemeine träge Stimmung mit ein. Ach was soll´s, heute noch irgendwie die 90 Kilometer bis Tulcea runter reißen und das war´s dann erst mal…
Ich weiß schon gar nicht mehr, wie es eigentlich angefangen hat. Mit einem Mal hat mich der Wind ziemlich übel am Wickel. Der kommt zuerst sehr stark und in Böen von der Seite, doch dann passt sich die Straße der Windrichtung an. Nun kommt der Wind mit voller Wucht von vorne. Ich weiß gar nicht, wie oft ich gedacht habe: „Verflixt, wenn das nun Rückenwind wäre, dann würde aber Reifer pfeifen…“ Aber dieser Wunsch bleibt ungehört. Es geht einfach nur Kilometer für Kilometer gerade aus. Kein Wald, nichts, was den Wind irgendwie bremsen könnte. Nur hunderte von Windrädern, die sich alle wie verrückt drehen. Alle Naben zeigen in ein und dieselbe Richtung: Exakt in meine Fahrtrichtung! Allen Skeptikern der Windkraft sei eines hiermit versichert: Die Dinger nehmen niemand den Wind weg. Damit es auch nicht zu einfach wird, steigt der Weg stetig an. Mit höchstens 15 km/h quäle ich mich voran. Immer wieder muss ich an das Thema mit dem Rückenwinde denken. Mist…! Meine Beine brennen inzwischen und ich habe wirklich gar keine Lust mehr zu fahren. Aber zum mich darüber zu ärgern fehlt mir einfach auch die Kraft und die Lust. Ich esse immer wieder sehr viel von meinem Proviant, weil ich regelmäßig riesigen Hunger bekomme. Und das trotz eines guten Frühstücks. Der Schokoladenkuchen hielt irgendwie nicht lange und die Kekse scheinen auch nicht viel zu bringen. Brot und Pfefferbeißer (ja, völlig unvegetarisch!) sind schon verputzt. Aber alles ist quasi schon im Wind verbrannt.
Die ersten 50 Kilometer sind geschafft und nach einer weiteren Pause ändert sich die Landschaft sehr deutlich. Urplötzlich gehen die mühsam erklommenen Höhenmeter des Vormittags innerhalb weniger Minuten flöten. So richtig freuen kann ich mich jedoch über die rasante Talfahrt nicht. Und tatsächlich, weniger Kilometer weiter geht es schon wieder bergauf. Nun sorgt der kräftige Gegenwind wenigstens für ausreichend Kühlung, während ich mich im Schritttempo den Berg hinauf arbeite. Wenigstens wurde die Landschaft etwas abwechslungsreicher. Keine endlosen Steppen, Felder und Ödnis, sondern Berge (letzte Ausläufer der Karpaten, wenn ich das noch richtig im Kopf habe). Es sind noch 30 anstrengende Kilometer, bis in dieses sch… Tulcea. Boah echt, wenn ich auch nur fünf Sekunden aufhöre zu kurbeln, weil meine Muskeln völlig verspannt sind, dann stehe ich still.
10 oder vielleicht 15 Kilometer vor Tulcea komme ich auf eine Hauptstraße. Hier ist wieder viel Verkehr und wenig Platz. Weil der Wind jetzt von der Seite kommt, geht es zwar etwas einfacher, dafür führt jedes Auto und jeder LKW zu starken Turbulenzen und es ist wirklich sehr schwer die Spur zu halten.
Zusammengefasst: Der Weg nach Tulcea war echt verdammt hart! So richtig freuen kann ich mich zuerst auch nicht, dass ich nun endlich angekommen bin. Ich bin einfach völlig platt. Aber nach einer kleinen Pause kann ich mich dann wenigstens aufraffen und ein paar „Selfies“ machen. Auf der Fahrt durch die Stadt halte ich Ausschau nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Hier wimmelt es vor Touris und Hotels. Ich finde eine bezahlbare Unterkunft in der ich die nächsten zwei Nächte verbringen will. Morgen will mir auf jeden Fall das Donaudelta anschauen!
Als ich nach dem Duschen aus dem Zimmer gehe ist das erst einmal ein komisches Gefühl: Normalerweise habe ich Fahrradklamotten an und keine Shorts, T-Shirt und Latschen. Auch habe ich mich in den letzten Wochen tagsüber nie von Speedy und Bobby getrennt, außer zum Einkaufen. Seltsam, als hätte ich irgendetwas Wichtiges vergessen.
Ich schaue mir die Stadt an, organisiere mir eine Tour ins Donaudelta für morgen früh, kaufe mir etwas zum Essen und zu Trinken und mache mich anschließend ans Tagebuch. Morgen früh um 9 Uhr legt das Schiff ab. Ich habe mir Proviant für den Tag besorgt, damit ich für die acht Stunden Tour auch was zum Essen habe. Meine Kamera ist auch startklar. Somit steht einem schönen Tag im Donaudelta nichts mehr im Wege.
Ziemlich müde von der Kurbelei, die ich schon fast wieder verdrängt habe, gehe ich zu Bett.
Gesamtkilometer: 3333 km (das war mir ein „Gute Nacht Bierchen“ wert…)