Die letzten Kilometer zum Nordkapp waren alles andere als einfach zu fahren. Ich habe im Tunnel wohl einfach etwas zu viel Gas gegeben, was Kraft gekostet hat.
Doch dann sehe ich mein Ziel, für das ich so viele Kilometer und Tage unterwegs gewesen bin:
Durch die Fenster der “Nordkapphalle” ist die große Weltkugel zu sehen.
Die Weltkugel liegt auf 71° 10′ 16″ nördlicher Breite und markiert somit den “fast” nördlichsten Punkt Europas. (Es gibt nur ein paar Kilometer weiter entfernt den wirklich nördlichsten Punkt, aber dort kommt man eben nicht so einfach hin).
Als ich bei der Weltkugel stehe, kann ich es zuerst einmal gar nicht fassen. Ich habe es tatsächlich bis hier her mit dem Fahrrad geschafft. Mir tausend Gedanken und Bilder der vergangenen Tage und Wochen durch den Kopf. Für einen kurzen Moment überwältigen mich die Gefühle. Es ist so unglaublich hier zu stehen. Was zuerst einfach nur ein kleiner Gedanke war, ist Wirklichkeit geworden und ich stehe hier auf einem Schieferplateau im Eismeer am nördlichsten Punkt Europas. Von hier aus sind es noch knapp 2100 Kilometer bis zum Nordpol. Wie es wohl hinterm Horizont weitergeht…?
Während die letzen Tage das Wetter hier oben offenbar grauenhaft gewesen sein muss und die Sicht gleich null war, habe ich das schlechte Wetter etwas weiter im Süden hinter mich gebracht. Nun werde ich dafür mit dem schönsten Sonnenschein belohnt: Die Sonne scheint wärmend vom stahlblauen Himmel. Es ist morgens 11 Uhr. Bis zur Mitternachtssonne werde ich noch 13 Stunden warten müssen. Ich war nun so lange unterwegs und werde mir diese Schauspiel auf keinen Fall entgehen lassen. Das Wetter in der Nacht soll gut bleiben.
Nun, da ich viel Zeit habe, macht sich schnell eine gewisse Leere breit. Ich bin am Ziel angekommen. Von hier aus komme ich nicht mehr weiter nach Norden. Komisch: Schon zur Mittagszeit “Feierabend” machen. Das ist so gar nicht mein Ding. Ich bin doch heute noch gar nicht so viel gefahren!?
Allmählich merke ich, wie kalt der Wind Wind hier oben trotz den Sonne ist. Ich suche mir einen warmen Platz in der Nordkapphalle und lasse mir eine Tasse heißes Wasser brignen. Ich versuche darin den Instant-Wein, den ich von zu Hause aus für diesen Augenblick mitgenommen habe, aufzulösen. Das Ergebnis schmeckt irgendwie schauerlich. Wozu muss es denn auch immer Alkohol sein?! Tagsüber ist hier in der Halle recht wenig los. Ich wundere mich wirklich, dass zu diesem Touristen-Magnet nicht mehr Leute kommen. Auch draußen sind nur wenige Menschen zu sehen. Das ändert sich gegen Abend aber zusehend. Im Minutentakt kommen Busse an und laden Unmengen an Touris aus, die sich teilweise sogleich auf Klettertour in die Weltkugel begeben. Reicht es eigentlich nicht, das Ding einfach nur anzuschauen? Warscheinlich sind die Fotos für Familienalbum umso beeindruckender, wenn man in die Weltkugel klettert, anstatt einfach nur davor zu stehen…
Gegen Mitternacht ist es eiskalt im Freien und in der Halle drängen sich die Leute dicht an dicht. Ich gehe zu eine Grotte, die zur Halle gehört. Hier gibt es eine riesige, aber komplett verdunkelte Glasfront genau Richtung Norden. Beleuchtet wird die Grotte mit Kerzen und ein paar schwachen Leuchten. Eine deutsche Touristin fragt die Dame an der Bar, was es denn hier zu sehen gibt. Interessiert höre ich zu und erfahre, dass die Verdunkelung um Mitternacht geöffnet wird. Völlig verdutzt frage die Touristin, ob das alles ist? “Yes, we just raise the curtain…”
Da war die Touristin schneller weg, als ich “ah..ha” sagen konnte.
Nun ja, leider wird die Touristin wohl nie erfahren was, die übrgigen Besucher und ich erleben durften, als die Vorhänge hoch gingen. Die gesamte Grotte war plötzlich von dem warmen, gelblichen Licht der Mitternachtssonne durchflutet. Es ging ein Raunen durch die Grotte, als sich die Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten und man draußen vor der Glasfront die Sonne nur wenige Meter über dem Eismeer sehen konnte. In all ihrer Größe und Schönheit.
Es sind eben doch die einfachen Dinge im Leben, die einen begeistern und in ihren Bann ziehen. Zwar geht die Sonne jeden Tag auf und wieder unter, aber ist ein schöner Sonnenaufgang oder ein Sonnenuntergang nicht jedes Mal ein Naturschauspiel besonderer Art?
Eines kann ich jetzt auch sagen: Das Sprichwort “Im Ostern geht die Sonne auf, im Süden nimmt sie ihren Lauf, im Westen wird sie untergehen und im Norden ist sie nie zu sehen” kann ich so nicht mehr stehen lassen. Wer es hier oben gesehen weiß, was ich meine!
Nachdem die Sonne schon wieder ein Stück nach Osten gewandert ist, mache ich mich auf den Rückweg nach Honningsvag. Auch wenn die Mitternachtssonne scheint, so gibt sie kein bisschen warm. Auf dem Rad ist es eiskalt. Ich bin froh, als ich am Morgen dann auf der Hurtigruten-Fähre bin. Es ist das erste mal seit Wochen, dass ich fahre, ohne selbst in die Pedale zu treten. Das macht jetzt ein netter Dieselmotor für mich. Die Strecke bis Hammerfest ist sehr schön. Der Nebel, der teilweise in den Fjorden hängt, ist warm geheizten Aussichtsdeck sehr schön anzusehen.
In Hammerfest ändere ich meinen ursprünglichen Plan, mit den Hurtigruten soweit nach Süden zu fahren wie möglich. Die Sache ist einfach sehr teuer. Eine günstige Flugverbindung bringt mich nach Oslo und von dort weiter nach Berlin.
Das Wacken-Open-Air hätte eigentlich mein Ziel bei den Ankunft im hohen Norden Deutschlands sein sollen. Aber nach den Wochen in der Natur und der Stille wäre die Umstellung auf ein Heavy-Metal Open-Air mit 80.000 Besuchern sicher ein krasser Schock geworden. So wird Wacken wohl warten müssen (wenn ich mal alt bin und im Rollstuhl sitze, dann findet sich hoffentlich jemand, der mich zur Bühne schiebt…).
Anstelle Wacken besuche ich auf dem weiteren Weg nach Süddeutschland noch unsere THW-Jugendgruppe auf dem Zeltlager in Wolfsburg. Die Mädels und Jungs vertreten “das Ländle” auf dem Bundeswettkampf der Jugendruppen. Da muss ich natürlich hin und die Daumen drücken. Leider hat es für einen Sieg nicht ganz gereicht, aber zu einem respektablen 6. Platz!
Mit dem Reisebus ging es dann zurück nach Leonberg. Die letzten Kilometer von der THW-Unterkunft bis nach Hause waren irgendwie komisch: Alles vertraut, aber doch irgendwie seltsam fremd geworden…