Sonntag, 24.08.2014 — Tulcea – Constanta
Sonntag, 24.08.2014 — Tulcea – Constanta
Tageskilometer: 135 km
Durchschnitt: 23,1 km/h
Fahrzeit: 5:45 h
Erst sonnig, dann heftige Gewitter mit Wolkenbruch, später trocken und schwül, am Nachmittag wieder Gewitter, <23°C
Nach dem schönen Ruhetag gestern soll es heute gen Süden gehen. Constanta wäre als Ziel ganz nett, aber ob ich die Strecke wirklich an einem Tag fahre, lasse ich erst noch offen. Ich packe vor dem Hotel die Tasche in den Bobby und mache mich auf den Weg. Es gäbe eigentlich noch einen Schlenker über einige Dörfer zu fahren. Aber wie ich schon einmal beschlossen habe: Dörfer habe ich jetzt wirklich genug gesehen. Ich entscheide mich also für den direkten Weg nach Constanta. Mit dem Navi finde ich den Weg aus der Stadt recht schnell. Auf der weiteren Fahrt werde ich nach einer kräftigen und langen Steigung zum Aufwärmen mit einem kräftigen Gegenwind verwöhnt. Es ist wieder einmal schön anzuschauen, wie sich die zahlreichen Windkraftanlagen wie verrückt drehen und jede Menge grünen Ökostrom produzieren. Aber warum, verdammt, müssen die Naben wieder in meine Fahrtrichtung zeigen? Aber aufregen bringt ja überhaupt nichts. Es ist aber schon sehr merkwürdig: Fahre ich nach Norden, so kommt der Wind von Nord. Fahre ich wie heute nach Süden, so kommt der Wind aus Süd…? Ach, was soll´s!
In Sarichiol sehe ich zum ersten Mal das Schwarze Meer. Phantastisch! Nun bin ich bald am Ziel! Während ich in Gedanken versunken vor mich hin fahre überholt mich eine kleine einachsige Kutsche. Der Kerl ist mit seinem Pferd und der Kutsche echt zügig unterwegs. Hm, mal sehen, was die so drauf haben. Der Wind ist grade nicht so stark und ich eröffne das Rennen: Ein „MS“ gegen ein „PS“. Beide mit Anhänger und Ladung. Ich ziehe an dem Gespann vorbei und winke dem Kerl auf der Kutsche zu. Der schaut rüber und macht seinem Gaul gleich darauf mächtig Dampf. Ich kann erst einmal einiges an Boden gut machen. Aber dann kommen die in Fahrt und ziehen an mir vorbei. Nee, Junge…nicht mit mir. Jetzt aber mal wirklich FFF (full force forward). Ich kann wieder aufschließen und überhole erneut. Jetzt gilt es den Vorsprung auszubauen und das gelingt mir nur mit großer Mühe. Aber immerhin: ERFOLGREICH VERSÄGT!!!
Vor lauter Rennen bemerke ich gar nicht, wie sehr sich inzwischen der Himmel zugezogen hat. Ein kräftiger Donner holt mich aus meinem Siegesrausch wieder in die Realität zurück. Oh Mist, der Himmel rund herum ist tiefschwarz und Blitze zucken zwischen den Wolken. Uuups, jetzt ist mir klar, warum sich der Wind gelegt hat. Er mach nur eine kleine Verschnaufpause. Wenige Augenblicke später geht es auch schon los: Der Himmel öffnet seine Schleusen. Zum unterstehen gibt es weit und breit außer ein paar hoher Bäume nichts. Auch keine Option zum Unterstehen! Über eine Stunde fahre ich im strömenden Regen. Und wie das regnet! Auf den Straßen steht zentimeterhoch das Wasser und meinen Durst kann ich mir mit dem stillen, was mir an Regenwasser durchs Gesicht läuft. Weil der Regen auch so plötzlich kam, habe ich keine Chance gehabt die Regenklamotten anzuziehen. Beim Öffnen der Bob-Tasche, wäre alles darin abgesoffen. Ach und das Zeug müsste ich auch bloß wieder trocknen. Die Radler-Klamotten trocken am Körper bei Fahrtwind am besten. Aus meinen Schuhen schwappt schon nach kurzer Zeit das Wasser und als ich einen Fahren lasse habe ich das Gefühl, als blubbert es in der Hose. Aber das war noch nicht alles. Zum Regen kommt noch etwas Hagel und der der Gegenwind ist wieder stark aufgefrischt. Jetzt fitzen die Wassertropfen richtig heftig ins Gesicht. Ich komme in ein Dorf namens Jurilovca. Gerade noch rechtzeitig bevor ich das Gefühl habe zu ersaufen entdecke ich einen Unterstand im Ort. Helle Blitze und sofort darauf ohrenbetäubender Donner haben mir in den letzten Minuten schon ein recht mulmiges Gefühl eingejagt. In dem Unterstand steht noch ein Pärchen auch Italien, die mit dem Motorrad unterwegs sind. Ich leere das Wasser aus meinen Schuhen, breite meine klitschnasse Karte auf dem Tisch aus und futtere erst einmal ein paar Kekse, während das Gewitter nochmal alle Register zieht. Zum Glück habe ich jetzt wenigstens ein Dach über dem Kopf, auch wenn es keine Wände gibt.
Gleich neben dem Unterstand ist ein Hotel. Sehr verlockend und eine gute Option, sollte der sinnflutartige Regen nicht aufhören. Und im Augenblick ist keinerlei Besserung in Sicht. So bleibt mir Zeit für ein Vesper. Denn inzwischen merke ich, dass ich ordentlich Kohldampf habe. Nach und nach lässt der Regen nach. Ich kann es kaum glauben, dass nach ein paar Minuten die ersten blauen Stellen am Himmel zu sehen sind. Unglaublich, vor einer halben Stunde war hier noch Weltuntergang! Somit stellt sich mir jetzt auch die Frage, ob die durchfahre bis Constanta, oder hier im Hotel übernachte. Ich habe schon ein großes Stück geschafft, aber in solch ein Gewitter will ich heute nicht mehr hineinkommen. Wenn es trocken bleibt, dann bin ich auf jeden Fall auch trocken, wenn ich in Constanta ankomme. Aber bis Constanta sind es immerhin noch mindestens 70 Kilometer. Ich lege die völlig durchweichte Karte vorsichtig zusammen und entscheide, dass ich weiterfahren werde. Das ist zu schaffen.
Nun ja, der Gegenwind und einige Steigungen lassen mich bei der Weiterfahrt dann doch hin und wieder über diesen Entschluss bruddeln. Aber ich will schließlich auch vorankommen. Ich habe das Gefühl, dass es nur wenige Dörfer später ist, als plötzlich die große Raffinerie von Constanta in Sicht kommt. Wie, bin ich denn etwa schon da?
Nun, nicht ganz, aber fast! Es ist schon noch ein Stück zu fahren. Nach der Raffinerie geht es über einen Kanal und dann führt der Weg weiter über eine relativ „schmale“ Landzunge. Laut inzwischen etwas getrockneter Karte gibt es auf dieser Landzunge eine Pension oder Hotel am anderen. Inzwischen hat es schon ein paar Mal kräftig gedonnert und die ersten Tropfen fallen vom Himmel. Schnell halte ich an der nächstbesten Pension die einen guten, aber günstigen Eindruck macht. Nun günstig war der Laden nicht, aber ich sehe schnell, dass Constanta kein billiges Pflaster zu sein scheint. Obwohl ich noch knapp acht Kilometer vom Stadtzentrum entfernt bin. Hier ist Touri-Gebiet…
Während sich draußen erneut ein kräftiges Gewitter entlädt, trage ich meine Sachen ins Zimmer. Als der Regen endlich aufgehört hat, gibt es kein Halten mehr: Ich schnappe mir mein Rad und fahre auf kürzestem Wege ein paar hundert Meter zum Strand. Ich will jetzt ins Schwarze Meer. Der Sandstrand ist nicht weit. Der Sand ist schön weich und dunkelgrau. Das Wasser ist warm und die Wellen sind ordentlich hoch.
Was für ein tolles Gefühl im Wasser zu sein. Nach all den vielen Kilometern auf dem Rad ist nun wirklich das endgültige Ziel erreicht! Nach dreieinhalbtausend Kilometern und knapp vier Wochen bin ich an dem Ort angekommen, den zu erreichen ich mir irgendwann einmal als Wunschtraum vorgenommen habe. Es ist ein sehr schönes Gefühl, wenn so ein Traum in Erfüllung geht. Man muss bei anderen Träumen jedoch Realist genug sein und rechtzeitig davon ablassen, wenn man merkt dass diese Träume nicht umsetzbar sind.
Nach einer Runde im Schwarzen Meer, muss ich der Strandbar einen Besuch abstatten. Ein Bierchen darf es zur Feier des Tages schon sein. Ich genieße den Blick aufs Meer und den Horizont und versuche diesen Augenblick in mich aufzusaugen und für mich zu behalten. Aber da merke ich, dass mein Bier schon wieder leer ist. Mist…
Ich mache mich auf den Rückweg zur Pension um dort erst einmal das Salzwasser abzuduschen. Anschließend lasse ich mir eine Pizza schmecken. (Ja, was Besseres ist mir nicht eingefallen, denn ich hasse „Frutti de Mare“). Ich beschließe morgen vor Sonnenaufgang wieder am Strand zu sein. „Im Osten geht die Sonne auf“, so sagt das Sprichwort und diesen Sonnenaufgang will ich sehen!