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9Uhr am Dutch-Lab bedeutet früh aufzustehen. Heute Morgen will ich einfach nicht aus den Federn kommen. Aber die automatische Umschaltung und die neuen Generatoren will ich unbedingt testen. Auch die Lastverteilung muss geändert werden. Weil mein Handy automatisch auf die Sommerzeit umgestellt hat, klingelt der Wecker noch früher. Ich bin wie erschlagen und es dauert ewig, bis ich in Schwung komme.

Die Arbeit im Dutch-Lab läuft gut. Einer der Ärzte dort kennt sich gut aus und die Sache ist schnell erledigt. Nun sollen die Leute erst einmal testen, wie sie mit der neuen halbautomatischen Umschaltung zurechtkommen.

Weil noch Zeit ist, will ich das Connaught-Hospital noch einmal besuchen. Osman will Batteriepuffer für seine neuen Maschinen kaufen. Er weiß aber nicht so genau, was er nehmen soll. Beim Blick auf das Typenschild der ersten neuen Maschine ist für mich der Sonntag eigentlich schon fast kaputt. Es stellt sich heraus, dass die Maschinen für 120V, 60Hz ausgelegt sind. Hier in Sierra Leone hat man aber 230V, 50Hz. Somit wird es morgen früh keinen Start für die Blutspenden geben.

Mir bleibt erst mal nichts Anderes übrig, als Osman die schlechte Nachricht zu überbringen. Der steht unten im Erdgeschoss und klopft mit Hammer und Meißel die alten Fliesen von der Wand. Viel tun kann ich erst einmal nicht. Ich erkläre ihm die Lage und er wollte sich am Montagmorgen auf dem Markt umschauen, ob er nicht doch etwas findet.

Weil Sonntag ist, bleibt etwas Zeit für einen Abstecher bei Don Bosco in Freetown. Lothar ist dort. Seine Leute und er betreuen dort über 200 Straßenkinder, die die Polizei oder das Militär während der Ausgangsperre aufgefischt und hier abgeladen hat. Während Lothar und ich uns unterhalten kommt ein kleiner Junge daher. Der Kerl ist so alt wie mein älteres Patenkind hier in Deutschland. Er sieht wirklich aus, als wäre er völlig neben der Spur. Lothar erklärt mir, dass viele Kinder hier im Heim aufgrund häuslicher Gewalt weggelaufen sind. Sie sind oft völlig traumatisiert. Das erklärt vieles. Da sagt der Kleine neben mir plötzlich: „Take me on your arms“ und hängt sich mir um den Hals. Ich streichle und drücke den kleinen Kerl eine Weile, dann schickt Lothar ihn weiter. Er läuft ein Stück bis zum Wachmann. Der Junge setzt sich ihm auf den Schoß und will einfach nur in den Arm genommen werden. Bei alle dem ist der kleine Kerl völlig apathisch. Der Gedanke an den Überfluss an Spielsachen der Kinder in Deutschland raubt mir in dem Moment fast den Atem.

Osman meldet sich nochmal wegen der USV. Irgendwie läuft bei ihm grade alles drunter und drüber. Mohammed und ich fahren nochmal ins Connaught-Hospital. Mit den Leuten vom Forschungsteam besprechen wir nochmal die Lage. Die haben auch schon ein paar Ideen, wie das Problem mit den Maschinen gelöst werden könnte. Hört sich alles gut an und versuche mich langsam aus der Debatte auszuklinken. Sonst bin ich noch die nächsten Monate oder Jahre hier. Zu tun gäbe es genug!

Mohammed und ich nutzen die freien Straßen während der Ausgangssperre und schauen uns Freetown an. Es ist Sonntag und ich brauche eine kleine Verschnaufpause. Die letzten Wochen waren anstrengend und so merke ich so langsam. Mohammed macht einen ganz kurzen Abstecher durch einen der Slums vom Freetown. Ich versuche mit aller Kraft das was ich dort sehe nur wahrzunehmen, aber nicht zu bewerten. Es gelingt mir nur mit großer Mühe. Was ich gesehen habe ist unvorstellbar ich kann und werde es hier nicht beschreiben. Es wird sich mir aber ins Gedächtnis einbrennen. Für immer!