Wetter wie immer…

O.k. Heute hat sich meine Welt, wie ich sie bisher kannte wieder einmal komplett auf den Kopf gestellt…

Ich muss jetzt erst einmal meine Gedanken irgendwie sortieren!

 

Den Vormittag verbrachten wir mit Arbeit in der Werkstatt. Hier gibt es immer irgendetwas, das repariert, umgebaut, oder irgendwie aufgeräumt werden muss. Das Lager ist auch so ein Punkt. In manchen Ecken herrscht dort solch ein Chaos, dass wir manchmal ganz überrascht feststellen, was wir hier so alles haben. Das in Ordnung zu bekommen, ist Jörgs ganz fester Wille.

Zum Nachmittag hin machen wir uns auf den Weg zum Masanga Hospital. Das ist gar nicht so weit weg von Makeni. Aber die Eindrücke und Erfahrungen, die ich dort habe bringen mich ehrlich gesagt schon ziemlich aus der Fassung: Ich habe mir Masanga Hospital folgendermaßen vorgestellt: Wir treffen mitten im afrikanischen Busch auf ein kleines Krankenhaus. Mit ein paar Hütten und einem Arzt und vielleicht einem Schamaen. Fertig. Wem man dort nicht helfen kann, der hat eben Pech gehabt.

Wirklich vor Ort treffen wir dort zwei Holländer und einen Dänen, die dort freiwillig „ein paar Sachen wieder auf Vordermann bringen…“ Weil das komplette Makeni Team eingeladen zum Übernachten ist, packen wir den Grill der neben der Werkstatt steht ein. Wir wollen erkunden, bei welchen Aufgaben wir unterstützen können und dann einen gemütlichen Samstag verbringen. Das Wochenende steht vor der Tür und ein bisschen Erholung könnte nicht schaden. Die Wirklichkeit in Masanga sieht völlig anders aus!

Zuerst einmal schwitze ich selbst um Mitternacht immer noch wie bescheuert. Es ist seit Stunden stockfinstere Nacht, aber es kühlt nicht ein bisschen ab. Zudem ist Masanga kein kleines Busch-Krankenhaus, sondern eine ehemalige Lepra-Station, die sich über ein Gesamtareal von 350 HEKTAR erstreckt!! Ursprünglich sind es offenbar wohl einmal deutsche Goldsucher gewesen, die sich 1928 an diesem Platz niedergelassen haben. Später wurde die Station mehr und mehr zum Krankenhaus. Ebola hat natürlich alle Strukturen dort zerstört. Jahre zuvor war es der fürchterliche Bürgerkrieg in Sierra Leone. Nun versuchen eben ein paar freiwillige Helfer die Sache dort wieder zum Laufen zu bekommen.

Der gesamte Ort ist sehr geschichtsträchtig. Die Ziele der Leute sind hochgesteckt: In zwei Wochen wollen sie den Betrieb wieder mit den ersten Patienten aufnehmen. Dafür graben sie grade Fundamente für ein neues Gebäude, in dem Ebola-Vorkontrollen durchgeführt werden sollen. Für die Sterilisierung der Abfälle des Krankenhauses wurde ein Autoklav gespendet. Dadurch soll kein Müll mehr verbrannt werden. Die gesamten Anlagen auf dem beinahe endlosen Areal sind riesig. Eigentlich viel zu groß, um dort mit ein paar Freiwilligen etwas zu bewegen. Aber da täusche ich mich schon wieder! Ich muss den Leuten, die dort etwas auf die Beine stelle wirklich meinen größten Respekt zollen! Und ich muss feststellen, dass es eigentlich gar nicht unbedingt am Geld liegt. Das ist schon vorhanden. Es fehlt an den Leuten, die in der Lage sind solche Sachen auch in die Tat umzusetzen. Und diese Tatsache macht mich sehr nachdenklich, wenn ich an meinen Büroalltag zu Hause denke.

Nach der Erkundung, welche dringenden Aufgaben wir hier unterstützen können, essen wir gemeinsam mit den freiwilligen Helfern zu Abend. Es bleibt genügend Zeit, um sich ausführlich über Gott und die Welt im Allgemeinen und Masanga Hospital im Speziellen zu unterhalten. Irgendwie kommt mir der Ort völlig surreal vor. Ursprünglich eine Siedlung der Minenarbeiter. Dann ab 1960 ein Krankenhaus der Advendisten. Alles perfekt ausgebaut. Wie gesagt, es ging um die Pflege von Lepra-Patienten. Dann im Bürgerkrieg haben sich die Rebellen hier eingenistet und dann hat Ebola den Ärzten den Tod gebracht. Die restlichen Leute sind aus Angst abgehauen. Die älteren Leute bei uns am Tisch wissen lebhaft von den Gräueltaten der Rebellen zu berichten. Mir wird fast schlecht. Ich bin fassungslos und zu tiefst erschüttert.

Unser Gästehaus, in dem wir heute Nacht schlafen wird von einem alten Mann sauber gepflegt. Als ich „Hallo“ zu ihm sage fällt mir auf, dass er an jeder Hand nur noch halbe Finger hat. Damit hält er irgendwie den Besen fest und macht sauber. Ich nehme an, dass dies ein „Gruß“ der Rebellen von damals ist. Die haben den Leuten Finger oder gleich die Hände abgehackt, damit niemand Widerstand leisten oder später an den Wahlen teilnehmen konnte. Keine Hände, keine Kreuze. So hatten es die Leute am Tisch berichtet. Aber ich liege schon wieder falsch. Der alte Mann hat damals seine Gliedmaßen durch Lepra verloren! Weil er keine Angehörigen mehr hat, lebt er hier im Schuppen neben dem Gästehaus und sorgt für Ordnung und Sauberkeit.

Boom, und schon wieder ist mein heiles europäisches Weltbild geplatzt. Lepra, das Thema kannte ich bisher höchstens noch vom Religionsunterricht aus der Grundschule. Aber ich muss dazusagen, dass der alte Mann wirklich zufrieden mit seinem Leben war. Er wurde geheilt und er lebt. Das ist für ihn die Hauptsache!

Wenn all diese Geschichten um Masanga Hospital nicht wären, dann wäre es wirklich der schönste Ort, den ich bislang in meinem Leben besucht habe. Die Natur ist unbeschreiblich schön. Es wachsen Ananas, Bananen und Mango direkt hinter dem Haus. Der Busch ist sehr dicht und im Tal fließt ein Fluss. Außerdem würde ich mich nicht wundern, würde Albert Schweizer (der berühmte Arzt aus Lambarene) hier über den staubigen Hof von einem Gebäude zum Nächsten schlendern…